Mit Schwarzwildbracken auf Du und Du!

3 Schwarzwildbracken (Kopov)
Gerlinde Skrzypek mit "Fee" bei der Nachsuche

Gerlinde Skrzypek und Gerhard Schött aus Wallenrod spüren mit Jagdhunden verletzte Wildtiere auf VOGELSBERGKREIS (mpe).

Wie ein Leuchtpunkt steht die erfahrene Hundeführerin mitten in dem dicht zugewucherten Unterholz des Buchenwaldes. Ruhig und nur mit leiser Stimme spricht sie Kommandos, sicher und zielgerichtet sind ihre Bewegungen. Grell orange ist die Jacke, ebenfalls der Helm, daran befestigt ein Visier. Damit es nicht wieder passiert wie vor Kurzem: als ein Ast Gerlinde Skrzypek ins Auge schlug und die Hornhaut sehr schmerzhaft verletzt wurde.

Mitten in Meter hohen Brennesseln wickelt die studierte Forstwissenschaftlerin Stück für Stück die lange Schweißleine ab, ein wenig tiefer unterhalb von ihr lugen zwei gespitzte Ohren über stacheliges Brombeergestrüpp. Zu oft hat „Fee“ diese Momente erlebt, als dass sie es nicht ganz genau wüsste: „Nachsuche– jetzt geht’s los!“ Trotzdem bleibt die Hündin besonnen wie ihr Sohn „Archie“, der mit Gerhard Schött, dem Lebensgefährten von Gerlinde Skrzypek, ein bisschen weiter im Hintergrund wartet. „Baldur“, der dritte im Bunde der Schwarzwildbracken, muss heute im Auto bleiben.

Bremsen und Mücken surren und schwirren zu Hunderten herum. Wittern gute Landeplätze auf Gesicht und Händen. Mitten im Sommer gehören auch sie mit Vorliebe zu den Frühaufstehern. Sechs Uhr morgens ist es. Nicht sehr befahren ist eine dieser abgelegenen Straßen im Hohen Vogelsberg. Und doch ist es mal wieder passiert. Das, wovon sich kein Autofahrer freisprechen kann: Wildunfälle sind es, die die beiden sehr versierten und in Nachsuchen erfahrenen Hundeführer aus dem Lauterbacher Stadtteil Wallenrod das ganze Jahr über unter anderem kontinuierlich auf Trab halten, genauso wie deren Jagdhunde:„Fee vom Uhlengrund“ (elf Jahre), „Archie von der Thorkuppe“ (sieben Jahre) und „Baldur von der Thorkuppe“ (drei Jahre).

Wenn auch häufig Rehe, Wildschweine, Füchse, Hasen an einer Unfallstelle verenden, so kommt es auch immer wieder vor, dass ein verletztes Tier flüchtet. Aus diesem Grund werden Gerlinde Skzrypek und Gerhard Schött wie andere Nachsuchengespanne im Vogelsberg über’s Handy angefordert – morgens, tagsüber, nachts. Zurück zu diesem Sommermorgen, an dem Gerlinde Skrzypek und Gerhard Schött wieder einmal „ehrenamtlich“ unterwegs sind. Begonnen hat das Prozedere bereits am Abend zuvor. 22.30 Uhr war es, als das Telefon klingelte. Als alle drei der wunderschönen schwarzbraunen Slovensky Kopov den Kopf wie auf eingeheimes Kommando in die Luft warfen. Dabei hatte man so einträchtig mit Frauchen und Herrchen vor dem späten Krimi auf dem Sofa vor sich hingeträumt. So richtig gemütlich war’s. Und jetzt am Handy dieser Tonfall von Frauchen, der da heißt: „Nachsuche!“ Auch wenn Chefin mal wieder versucht, jegliche Aufregungin der Stimme zu vermeiden, bekommt sie es nicht hin.

Grundsätzlich bemerkt das Trio alles, schwupps sitzt man zu dritt in Positur. Von jetzt an wird jede Bewegung von Frauchen mit nahezu hypnotisierenden Blicken festgehalten. Drei Hundeköpfe, die sich fast parallel bewegen. Glänzende Augen, wie flehend: „Komm bloß nicht auf die Idee und lass uns hier zu Hause sitzen!“ Jetzt geht sie auch noch die Treppe runter und packt den Rucksack – klar, was dann im Morgengrauen abgeht. Nachsuchen werden nämlich grundsätzlich nicht zur Nacht hin gemacht. Also schleicht man sich als professionelles Dreigestirn auf die sichere Seite und postiert sich vor der Haustür. „Sollen sie doch ruhig fallen über uns, wenn’s noch halbdunkel ist! Dann vergessen sie uns wenigstens nicht! “Sonnenaufgang wie im Bilderbuch, so startete dieser Tag. Mit einem Satz waren „Fee“, „ Archie“ und „Baldur“ im Kofferraum des Geländewagens. 35 Minuten Fahrt, dann waren alle vor Ort.

Zunächst erfolgte das gemeinsame Gespräch von Gerlinde Skrzypek und Gerhard Schött mit dem Jagdpächter an der vermutlichen Stelle des Unfalls. Glasscherben auf dem Teer, ein wenig Schweiß (ausgetretenes Blut beim Wild) klebte rotbraun an der grauen Leitplanke. Mit geübtem Blick erkennen die Hundeführer die Richtung, in die das Wild geflüchtet sein kann. „Ein großes Wildschwein soll es sein!“, so gibt der Jagdpächter den betroffenen Autofahrer wieder.

Gerlinde Skrzypek geht zum Auto und beginnt ihre Spezial-Ausrüstung überzuziehen. Zuerst die Nachsuchenhose mit dem Hieb- und Stichschutz. Etwas sperrig, aber gut. Einmal, als es diese Anfertigung noch nicht gab, hat ein verletzter Keiler mit seinen Hauern angegriffen und der 48-Jährigen eine üble Verletzung am Bein zugefügt. Mehr als einmal waren es die Kopov, die ihr das Leben retteten, indem sie verletzte Wildschweine bedrängten und ablenkten, als diese Gerlinde Skrzypek angreifen wollten.

Nun aber ist keine Zeit für sentimentale Gedenkminuten, jetzt muss jeder Griff sitzen. Jede Sekunde zählt. Jacke, Helm, Gürtel mit langem Messer und Verbandspäckchen, das Gewehr wird auf den Rücken gehängt. Danach werden die Hunde ausstaffiert: spezielle Schutzwesten, die für die Hündin etwas anders geschnitten sind als für den Rüden, Warnhalsung mit Ortungssender. Keine schönen Erinnerungen an die Zeiten, in denen man – selten, aber doch hin und wieder –voller Verzweiflung nach dem nicht zurückgekehrten übereifrigen Vierbeiner suchte. Jetzt kann man über Funk die Stellen ausfindig machen, bis wohin die in vielen Prüfungen hervorragend ausgebildeten Vierbeiner im Eifer des Gefechts krankes Wild (oft kilometerweit) verfolgt haben.

„Auf, such verwund!“ Mit ihrer feinen Nase wittert „Fee“ auf dem Boden, Gerlinde Skrzypek geht an der langen Leine hinterher. Schweißperlen rollen wie Wasser über ihr Gesicht, drückende Luft und nervliche Anspannung sind eine anstrengende Mixtur. Wenn auch ihr Hobby, das sich nicht zuletzt auf einer jagdlichen Passion gründet, ein guter körperlicher Ausgleich für ihre stressige berufliche Arbeit am Computer ist. „Ohne beste Kondition von Hund und Herrchen geht gar nichts. “Bei Sturm, Regen oder wie jetzt bei Hitze geht es raus. Gerlinde Skrzypek mit „Fee“ unterwegs im dichtem Gestrüpp: Der Hund verfolgt die Fährte eines verletzten Wildschweins. Im Winterhalbjahr bei Werten bis um die minus 25 Grad. Egal. Hauptsache ist, sie sind ein tolles Team, die Nachsuchenführer und ihre Vierbeiner – ausgestattet mit einem hohen Finderwillen, gepaart mit extremem Durchhaltevermögen. Dicht an dicht, auf Du und Du geduckt, rutschen Frau und Hund, Herr und Hund, über Böschungen, durch Gräben, nicht nur „Fee“ und „Archie“ erlebt man auf allen Vieren.

Unterwegs in mannshohen Brennesseln, ihre brennenden Blätter kriechen unter die Ärmel,für die Hunde ist es ebenfalls höchst unangenehm. Weiter geht’s. Wie lange, weiß keiner. Sehr unterschiedlich kann das sein. Manchmal ist es nur eine kurze „Totsuche“, bei der das Wild ganz in der Nähe der Unfallstelle verendet aufgefunden wird. In anderen Fällen kann es Stunden oder sogar Tage dauern. Nicht immer werden die verletzten Tiere gefunden, doch meistens. Wie gefährlich eine solche Nachsuche ist und welche Strapazen dahinter stehen, davon machen sich Verursacher wohl eher weniger Gedanken.

„Fee“ arbeitet sich derweil weiter durch den Wald, jetzt geht es hinaus auf eine Wiese. Zwei Kolkraben machen sich schnell mit leisem Flügelschlag aus dem Staub. Hier im eingedrückten Gras kann man die tiefen Spuren des Wildschweins auch als Laie erkennen.

Auf einmal sind an dieser Stelle noch viele andere Fährten. „Fee“ beginnt große Kreise zu ziehen, um aus dem Wirrwarr der Spuren die richtige wieder herauszufinden. Plötzlich geht die Nase tief, sie wedelt aufgeregt mit dem Schwanz. Ein Grashalm wird von ihr von oben bis unten untersucht, in der Mitte abgeleckt. „So ist es brav!“ Frauchen schaut genauer hin: In der Tat, ein kleiner Tropfen „Schweiß“ (Blut). „So ist es brav, such verwund!“ 100 Meter geht es in Richtung auf einen kleinen Bach. „Fee“ stoppt abrupt. Blickt sich um, sucht Blickkontakt. Könnte heißen: „Hey, wir sind gleich da!“ Chefin schaut. Entdeckt eine Art dunkles Paket: ein Wildschwein, das sich ins Wasser gelegt hat, sicherlich, um seine Wunden zu kühlen.

In diesem Fall heißt es nicht „Ladies first!“, sondern „Archie, voran!“. Der Rüde wird den jungen Keiler stellen, und die Försterin wird den Bruchteil eines Moments abpassen, um den Abzug durchzuziehen. Allerhöchste Konzentration und Ruhe sind angesagt. „ Archie“ wäre nicht der erste Hund, der bei solch einem Unternehmen von seinem eigenen Herrn aus Versehen erschossen würde. Wie er ebenfalls nicht der Erste wäre, der beim professionellen Hetzen beim Überqueren eines stark befahrenen Verkehrsweges überfahren werden würde.

An diesem Tag geht alles gut. Im Himmel für Wildschweine gibt es eine Neuaufnahme, auf der Erde bewachen zwei stolze Slovensky Kopov ihre „Beute“. Gelungen ist das, was für Gerlinde Skrzypek und ihren Lebensgefährten diesbezüglich an erster Stelle steht: „Alles, was möglich ist, muss versucht werden, um eine Nachsuche erfolgreich zu beenden!“ Hintergrund:

In Hessen muss jeder Pächter eines Jagdreviers einen für die Nachsuche brauchbaren Jagdhund nachweisen. Hegegemeinschaften bilden dabei jeweils einen Zusammenschluss von den Revieren einer Region. Diese können geeignete Nachsuchengespanne auswählen und von der Unteren Jagdbehörde bestätigen lassen. Diese Nachsuchengespanne können dann in der Hegegemeinschaft revierübergreifende Nachsuchen durchführen.